Anhörung zur Organspende: Signal, statt „Hauruck-Verfahren“

Anhörung zur Organspende: Signal, statt „Hauruck-Verfahren“Berlin – Die Ärzteschaft sieht in der Einführung einer Widerspruchsregelung bei der Organspende ein starkes Zeichen der Solidarität sowie eine Chance für eine intensivere gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem sensiblen Thema Organspende.Dies betont die Bundesärztekammer (BÄK) mit Verweis auf den Beschluss des Deutschen Ärztetages 2018 in ihrer Stellungnahme zu vorliegenden Entwürfen zur Änderung des Transplantationsgesetzes im Sinne einer Einführung der Widerspruchsregelung. Diese werden heute Abend im Gesundheitsausschuss des Bundestages beraten.Dass es jedoch noch in dieser Legislaturperiode zu einer Abstimmung der Entwürfe im Parlament und damit zu einer Gesetzesänderung kommt, gilt als unrealistisch. Erarbeitet wurden die beiden zur Diskussion stehenden Entwürfe von einer interfraktionellen Abgeordnetengruppe sowie vom Bundesrat.An den Stellungnahmen zeigt sich schon im Vorfeld der Anhörung, wie sehr die Meinungen der Fach­leute darüber auseinandergehen, ob ein Systemwechsel bei der Organspende die anhaltende Situation des Mangels an Spen­derorganen tatsächlich verbessern würde. Hinderlich für das parlamentarische Verfahren und einen möglichen Beschluss eines neuen Gesetzes ist zudem das enge Zeitfenster bis zu den Neuwahlen am 23. Februar.Trotz der Unwahrscheinlichkeit einer baldigen Reform: Von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) wird dennoch begrüßt, dass die Anhörung im Gesundheitsausschuss zum Thema der Widerspruchsregelung jetzt noch vor den Wahlen stattfindet.Von ihr gehe das „klare politische Signal“ der Antragstellenden und Unterstützenden dieser Regelung aus, dass sie hinter dieser „politisch und gesellschaftlich wichtigen Änderung des Transplantationsgesetzes stehen“, sagte der Medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel, dem Deutschen Ärzteblatt.Die Gruppe von Abgeordneten von SPD, Union, Grünen, FDP und Linken und der Bundesrat hätten auf die Stimmen der vielen Patientinnen und Patienten, die von einer Organtransplantation profitieren könnten und auf die breite Unterstützung in der Gesellschaft gehört, erklärte der Arzt.„So wird ein Zeichen gesetzt, dass dieser Gesetzesentwurf nicht sang und klanglos untergeht, auch wenn durch politische Manöver eine Abstimmung vor der vorgezogenen Bundestagswahl de facto ausgeschlossen ist.“Rahmel kann auch einer Verschiebung der Parlamentsabstimmung des Gesetzentwurfs, der aufgrund des Diskon­tinui­tätsprinzips nach den Wahlen neu eingebracht und verhandelt werden muss, etwas Positives abgewinnen.„Wahrscheinlich ist es gut, dass in der durch den Wahlkampf gekennzeichneten politischen Situation ein so wich­tiges Thema wie die Organspende im deutschen Parlament nicht diskutiert wird und möglicherweise zum Spiel­ball politischer Interessen wird“, sagte er.Einen Vorgeschmack auf eine „kontraproduktive Polarisierung“, zu der es bei solch einer Debatte kommen könne, hätten ja die Äußerungen eines Abgeordneten bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfes gezeigt. Damit spielte Rahmel auf die erste Lesung des Gesetzentwurfs im Parlament am 5. Dezember des vergangenen Jahres an.Bei dieser sorgte der AfD-Abgeordnete Martin Sichert für lauten Widerspruch und Entsetzen, als er den Antrag­stellenden unter anderem die Idee eines „Volkskörpers“ vorwarf, an dem man sich im Sinne eines „Ersatzteillagers“ bedienen wolle. Die Widerspruchsregelung mache „Menschen zu Volkseigentum“, sagte er und unterstellte Ge­schäftemacherei bei der Organspende.• Organspende: Zeitnahe Reform eher unwahrscheinlich
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• Organspendereform: Anhörung im Gesundheitsausschuss geplantDer Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger (CSU) hofft heute ebenfalls, dass der Entwurf zur Widerspruchs­regelung nicht noch im „Hauruck-Verfahren“ in dieser Legislatur „durchgepeitscht“ wird, wie er dem Deutschen Ärzteblatt im Vorfeld der Anhörung sagte.Bei dieser wolle man die Problematik um die Widerspruchslösung herausarbeiten, so der Arzt, der stattdessen weiterhin auf eine Entscheidungslösung bei der Organspende setzt. „Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise, dass eine Widerspruchsregelung zu mehr Organspenden führt“, betonte er. Menschen, die aus psychischen oder anderen Gründen nicht widersprechen könnten, dürften nicht eventuell gegen ihren eigentlichen Willen zu Organspendern gemacht werden.„Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich an die dunklen Zeiten der Coronapandemie erinnert, als sie – ebenfalls ohne ausreichende wissenschaftlichen Beweise – in Teilen ihrer Freiheitsrechte beraubt wurden. Die Debatte zur Widerspruchsregelung kommt zur Unzeit und ist ein Konjunkturprogramm für Verschwörungstheoretiker, Querden­ker und damit für die AfD“, so Pilsinger.Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte die Bundestagsabgeordneten auf, auf eine Neuregelung der Organspende vor der Bundestagswahl zu verzichten. „Am Ende der Legislaturperiode darf es keinen ethischen Ausverkauf geben“, sagte Vorstand Eugen Brysch heute dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Gestern hatte sich bereits die katholische Bischofskonferenz gegen eine Widerspruchslösung ausgesprochen.

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