S „Die Gleichverteilung geht umso mehr verloren, je höher die Hierarchieebene ist“ – MedizinRatgeberOnline.de

„Die Gleichverteilung geht umso mehr verloren, je höher die Hierarchieebene ist“

gleichverteilung hierarchieebene

„Die Gleichverteilung geht umso mehr verloren, je höher die Hierarchieebene ist“Berlin – Gesundheitspolitische Fragen sowie die Repräsentation von Frauen im Beruf haben den Ärztinnenbund seit jeher beschäftigt. Vor nun 100 Jahren wurde am 20. Oktober der Bund Deutscher Ärztinnen in Berlin ge­gründet. 1924 gab es im ganzen Deutschen Reich 2.500 Ärztinnen.Nach der Neugründung unter dem Namen Deutscher Ärztinnenbund im März 1950 in München setzte der Ver­band die Arbeit fort – als Netzwerk, mit eigenen Kongressen sowie bei der Themensetzung bei beruflichen und sozialen Themen. Dazu gehören die Probleme bei der Umsetzung des Mutterschutzes, die Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Medizin in der Aus- und Fortbildung sowie das Thema Top-Sharing für Führungspositio­nen.Fünf Fragen an Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen Ärztinnen­bundsFrau Groß, in diesen Tagen wird der Ärztinnenbund 100 Jahre. Damals waren es die Forderungen, dass Frauen überhaupt Medizin studieren durften. Was würden Sie einer Ärztin von damals erklären, was Frauen 100 Jahre später im Beruf erreicht haben?
Als erstes merke ich an, dass im ärztlichen Beruf inzwischen knapp 50 Prozent Ärztinnen tätig sind, also grundsätzlich Parität herrscht. Dann weise ich aber darauf hin, dass die Gleichverteilung der Geschlechter umso mehr verloren geht, je höher die Hierarchieebene ist.Ich berichte, dass Frauen die gleichen medizinischen Fächer wählen können wie Männer, dass aber die von Frauen bevorzugten, eher pa­tientenzugewandten Gebiete leider geringer honoriert werden. Ich spreche darüber, wie sich die Belege häufen, dass Patientinnen und Patienten profitieren, wenn sie von Ärztinnen behandelt werden.Das betrifft sogar die Chirurgie, wie eine Studie im vergangenen Jahr aus den USA zeigt. Außerdem thematisiere ich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Ärztinnen grundsätzlich möglich ist – wenn auch weiterhin schwer. Und ich werde natürlich darauf hinweisen, dass wir eine Verfassung haben, die im Artikel 3 des Grundgesetzes festschreibt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“.2024 sind 50 Prozent der Ärzteschaft weiblich und viele Hürden gibt es weiterhin. Warum?
Die größte Hürde ist und bleibt die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Es beginnt bei der gut gemeinten aber schlecht umgesetzten Mutterschutzgesetzgebung, die zum Teil schon im Studium behindert. Es geht weiter mit einer immer noch hauptsächlich an einer festen Zeitschiene orientierten Weiterbildung, verlängert durch mögliche Beschäftigungsverbote bei Schwangeren und Teilzeittätigkeit bei Müttern.Das Deutsche Ärzteblatt überträgt die feierliche Erinnerung an den Gründungstag des Bundes Deutscher Ärztinnen am 25. Oktober 1924 in einem Livestream am 25. Oktober 2024 ab 10 Uhr.Wissenschaft in der Medizin ist in Deutschland oft nicht hauptberuflich, sondern nebenberuflich in der Freizeit zu absolvieren. Dies erschwert es den Frau­en, ihre Karriere in der gleichen Zeit voranzutreiben wie die Männer.Solange in den Köpfen – von Männern und Frauen – ein Rollenmodell existiert, welches den Mann als Haupternährer und die Frau als diejenige sieht, die sich um die Kinder kümmern muss, solange wird es schwierig bleiben.Die Statistik der Bundesärztekammer belegt, dass nur drei Prozent der Väter Elternzeit nehmen. Das Modell ist also im ärztlichen Beruf präsent.Welche Einstellungen und Stimmungen gibt es in der nachwachsenden Generation der Ärztinnen?
Die jungen Ärztinnen sind sehr motiviert. Das Berufsethos ist hoch. Die Entscheidung eine eigene Praxis zu er­öffnen, wird jedoch sehr lange nach hinten verschoben, auch weil über Jahrzehnte das Bild geprägt wurde, eine angestellte Tätigkeit stelle für Frauen mit Kindern die beste Lösung dar. Erstaunlich viele junge Ärztinnen finden den Weg zur Hausarztmedizin.Aber auch die chirurgischen Fächer werden für Frauen attraktiver, wobei es hier sehr darauf ankommt, wie die jeweilige Chefposition besetzt ist. Die Auseinandersetzung mit den täglichen hohen Anforderungen und der überbordenden Bürokratie erreicht die Kolleginnen sehr schnell und bringt die eine oder andere sogar zum Umdenken bezüglich des Berufes.Viele Ärztinnen entscheiden sich, wenn Kinder da sind, für eine Teilzeittätigkeit. Hierbei ist aber immer zu beachten, dass die ärztliche Arbeitszeit pro Woche oft weit über die 40 Stunden hinausgeht.Der Ärztinnenbund fordert bis Mitte der 2030er Jahre Parität in allen Führungsebenen der Medizin. Wenn Sie einen „Drei-Punkteplan“ schreiben würden: Was muss sich dafür aus Ihrer Sicht in den nächsten zehn Jahren konkret bewegen?
Beginnen würde ich mit einer strikten Umsetzung von Parität von den unteren bis in die oberen Ebenen von Gremien – Kammern, KVen, Verbände, Fachgesellschaften. Es zwingt einerseits die Männer, Plätze freizustellen und andererseits die Ärztinnen, sich zu beteiligen.Für die Berufliche Tätigkeit muss Kinderbetreuung auch außerhalb der üblichen Zeiten von angeboten werden. Eine 40-Stunden-Woche, aber inclusive Nacht und Wochenenddiensten, ist nötig, um mehr Müttern eine Voll­zeittätigkeit zu ermöglichen.• Parität bleibt das Ziel
• „Operative Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit“: Konsenspapier vorgelegt
• Ärztinnenbund will mehr Sicherheit für selbstständige Ärztinnen in Schwangerschaft und ElternzeitFür meinen dritten Punkt habe ich kein Patentrezept. Es ist ein Wunschdenken: Frauen sollten risikofreudiger sein und weniger selbstkritisch. Institutionen, die Frauen früh paritätisch beteiligen, müssen ausgezeichnet werden, solange bis Parität auch in den Führungsebenen Normalität ist.Nehmen wir an, Parität ist in einigen Jahren zum größten Teil erreicht: Warum braucht es auch in den nächsten Jahrzehnten den Ärztinnenbund?
Der Deutsche Ärztinnenbund hat oft wichtige Themen für Ärztinnen und für Frauen erstmalig benannt. Diese wurden in der Gesellschaft auch weiter diskutiert, etwa die Mutterschutzgesetzgebung oder auch die ge­schlechterspezifische Medizin.Ich bin zuversichtlich, dass unsere Nachfolgerinnen weitere Themen finden, die unsere Gesellschaft voranbrin­gen. Und wenn sich keine großen Themen mehr finden, dann bleibt Medizin immer noch ein Fach, welches sich permanent verändert. Hier sind kleine Zirkel zum persönlichen Austausch durchaus eine erstrebenswerte Option der Vernetzung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert