Neuartiges Antibiotikum gegen Gonorrhö
Neuartiges Antibiotikum gegen Gonorrhö 15. April 2025 Der Tripper-Erreger Neisseria gonorrhoeae. Grafik: Giovanni Cancemi – stock.adobe.com Das neue Antibiotikum Gepotidacin ist wirksam gegen Gonorrhö, die auch als Tripper bekannte sexuell übertragbare Krankheit. Das ist das Ergebnis einer randomisiert kontrollierten Phase-III-Studie, die das neuartige Medikament mit der bisherigen Standardbehandlung verglichen hat. Durch seine Angriffsstellen im Bakterium soll es auch gegen aktuell schon antibiotikaresistente Erreger wirksam sein. Die Ergebnisse der Studie wurden am 14.04.2025 im Fachjournal „The Lancet“ veröffentlicht Das Pharmaunternehmen GSK hatte bereits im vergangenen Jahr Daten aus der Studie in einer Pressemitteilung bekannt gegeben. Gepotidacin hemmt die Enzyme Gyrase und Topoisomerase IV, die für die Vervielfältigung der Bakterien-DNA wichtig sind. Im Gegensatz zu Fluorchinolonen wie Ciprofloxacin, die auch auf diese Weise wirken, bindet Gepotidacin an andere Stellen dieser Enzyme. In der Studie ist daher die Rede vom ersten Antibiotikum der Klasse Triazaacenaphthylene. Da Bakterien für eine Resistenz in zwei Enzymen gleichzeitig Mutationen ausbilden müssten, hoffen Forscher, dass die neue Substanz weniger dafür anfällig ist. Resistenzsituation in Deutschland Antibiotikaresistente Bakterien machen die Behandlung von Infektionserkrankungen zunehmend herausfordernder. Auch das Gonorrhö-Bakterium Neisseria gonorrhoeae hat zahlreiche Resistenzen gezeigt. Deswegen haben die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Europäische Zentrum zur Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) Surveillance-Programme gestartet. Die aktuell empfohlene Therapie ist in Deutschland eine Kombination aus den Antibiotika Ceftriaxon als Spritze in den Muskel (i.m.) und Azithromycin oral. Auch in Deutschland wird die Resistenzsituation überwacht: Azithromycin-resistente Bakterien wurden im Jahr 2023 in einem Viertel der untersuchten Proben gefunden, gegen Ceftriaxon waren weniger als ein Prozent resistent. Resistenzen gegen früher verwendete Antibiotika sind häufig, wie etwa beim Gyrasehemmer Ciprofloxacin: Hiergegen zeigten im Jahr 2024 über 70 Prozent der eingegangenen Bakterienproben Resistenzen. Doch auch gegen das hierzulande noch meistens wirksame Ceftriaxon entwickeln sich andernorts Resistenzen: In Vietnam sind bereits über ein Viertel der untersuchten Gonorrhö-Bakterien resistent. Nichtunterlegenheit nachgewiesen In der aktuellen Studie haben die Forschenden die Wirksamkeit von Gepotidacin (zwei Dosen von 3 g oral im Abstand von 10–12 h) mit der Standardtherapie Ceftriaxon (500 mg i.m.) plus Azithromycin (1 g oral) bei 628 Menschen über zwölf Jahren mit einer unkomplizierten urogenitalen und/oder laborchemisch nachgewiesenen Gonorrhö-Infektion verglichen. „Bei der Studie handelte es sich um eine ‚Non-inferiority‘-Studie, das heißt, sie sollte zeigen, dass Gepotidacin mindestens genauso gut ist wie die derzeit empfohlene Behandlung mit Ceftriaxon plus Azithromycin“, erläutert Prof. Nicola Low, Leiterin der Arbeitsgruppe „Sexual and Reproductive Health“ am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern (Schweiz). Der primäre Endpunkt war die Beseitigung des Bakteriums in den Proben bei einem Kontrolltermin nach 4–8 Tagen. Gepotidacin schnitt nicht schlechter als die Standardtherapie ab (adjusted treatment difference -0,1 Prozent; Konfidenzintervall -5,6 bis 5,5). Dabei wirkten beide Therapien auch erfolgreich gegen Erreger, die resistent gegen beispielsweise Ciprofloxacin oder Penicillin waren. Behandelte in der Gepotidacin-Gruppe hatten häufiger Nebenwirkungen, die allermeisten mild oder moderat. Die häufigste Nebenwirkung war Durchfall bei knapp der Hälfte der Gepotidacin-Nutzenden. In der vorausgegangenen Phase-II-Studie mit einmaliger Gabe von drei Gramm Gepotidacin waren noch mehrere Behandlungs-Misserfolge und die Entstehung von Gepotidacin-resistenten Stämmen in einzelnen Patienten zu beobachten. In der Phase-III-Studie mit angepasster, zweifacher Gabe von Gepotidacin konnte hingegen „bei keinem der etwa 200 Gonokokken-Isolate eine entsprechende Resistenz bzw. eine damit einhergehende reduzierte Empfindlichkeit gegen Gepotidacin festgestellt werden“, erklärt Prof. Christof Hauck, Leiter der Arbeitsgruppe Zellbiologie im Fachbereich Biologie der Universität Konstanz. Er sieht in den Ergebnissen „eine schlechte Nachricht für Gonokokken“. Die Studiergebnisse „lassen hoffen, dass die Medizin für die Behandlung von Gonorrhö einen neuen treffsicheren Pfeil im Köcher hat“, so Hauck. Zweimalige orale Einnahme – Vorteil oder Nachteil? „Die Entwicklung neuartiger Antibiotika oder Therapieansätze ist für die Behandlung der Gonorrhö sehr zu begrüßen“, urteilt Dr. Susanne Buder, Leiterin des Konsiliarlabors für Gonokokken am Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. „Die Einnahme als Pille ist ein Vorteil gegenüber der Standardtherapie mit Ceftriaxon, welche in die Vene oder in den Muskel verabreicht werden muss.“ Dies sei aber nur „auf den ersten Blick eine Vereinfachung der Behandlung“, gibt Hauck zu bedenken, da „eine zweimalige Gabe des oral verabreichten Gepotidacin das Risiko birgt, dass Patienten die zweite Dosis auslassen“. Dies könnte seiner Ansicht nach bei der neuen Substanz eine Rolle spielen, „da die Behandlung mit Gepotidacin doch mit einer deutlichen Zunahme der Nebenwirkungen – wie Durchfall, Übelkeit und neurologischen Symptomen – verbunden ist und mehrere Teilnehmer nach der ersten Gepotidacin-Gabe die Studie abgebrochen haben“. Nur eine „Verschnaufpause“ vor neuen Resistenzen? Bezüglich der Resistenzen zeigen sich die Experten vorsichtig: „Bei Gepotidacin handelt es sich zwar um einen neuen Wirkstoff, der aber auf bereits bekannte Zielstrukturen (Gyrase und Topoisomerase) abzielt“, erklärt Hauck. „Diese zellulären Ziele sind auch die Zielstrukturen der lange Zeit zur Gonorrhö-Behandlung eingesetzten Fluorchinolone. Deshalb kommen in Gonokokken-Populationen bereits Varianten vor, die eine Fluorchinolon-Resistenz basierend auf Mutationen in diesen Ziel-Genen aufweisen (…) und dadurch bereits eine niedrigere Empfindlichkeit gegenüber Gepotidacin zeigen können. Es ist deshalb zu vermuten, dass Gepotidacin bei einem umfassenden Einsatz der Medizin eine Verschnaufpause, aber keinen langfristigen Erfolg bei der Eindämmung der Gonorrhö gewähren wird.“ Auch Low urteilt zurückhaltend: „Gepotidacin würde einen Mehrwert bieten, wenn es nachweislich Ceftriaxon-resistente Stämme erfolgreich behandeln könnte. Diese Studie umfasste jedoch nur Teilnehmer*innen mit Ceftriaxon-empfänglichen N. gonorrhoeae.“ Die Expertin sieht einen „Schwachpunkt dieser Studie“, nämlich, „dass die Entnahme von Proben aus dem Rektum und dem Rachenraum nicht verpflichtend war, sodass das Ausmaß des Behandlungsversagens hier nicht bei allen Teilnehmern untersucht werden konnte“. Daher „bestehen weiterhin Unsicherheiten, was die Möglichkeit einer Resistenz bei Racheninfektionen angeht“. Das neue Antibiotikum könnte daher „zur Behandlung von Menschen mit unkomplizierter Gonorrhö eingesetzt werden, bei denen eine nicht genitale Infektion ausgeschlossen wurde, wenn zum Beispiel Ceftriaxon nicht verwendet werden kann“. RKI-Expertin Buder betont, dass auch für ein neu entwickeltes Antibiotikum die Entstehung von Resistenzen beachtet werden müsse, um die Wirksamkeit langfristig zu erhalten. „Eine enge Überwachung und kontinuierliche Evaluierung im klinischen Alltag sind daher unerlässlich. Es werden zudem weitere Daten zur Wirksamkeit der Behandlung auch bei nicht genitalen Gonokokken-Infektionen, insbesondere im Rachen, benötigt.“ (SMC/ms) Anmerkung: Gepotidacin wurde bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen bereits erfolgreich getestet und kürzlich in den USA in dieser Indikation bei Frauen und Kindern zugelassen. Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Teilen: e-Mail Drucken Facebook Twitter LinkedIn Quellen Science Media Center, 14.04.2025Ross JDC, Wilson J, Workowski KA et al. Oral gepotidacin for the treatment of uncomplicated urogenital gonorrhoea (EAGLE-1): a phase 3 randomised, open-label, non-inferiority, multicentre study Schlagwörter• Antibiotikum • Antibiotikaresistenzen • Neisseria gonorrhoeae • Gonorrhö • Gepotidacin